Der Businesscoach Jürg Sutter bezeichnet sich heute als Ziel-Erreicher: Er begleitet Unternehmen in Veränderungsprozessen.
Mit Jürg Sutter sprach Johanna Mächler
Jürg Sutter, Sie werden von Unternehmen unter anderem engagiert, um Veränderungsprozesse zu gestalten und zu begleiten. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich werde von kleinen, mittleren und grossen Firmen engagiert, die in einem gewissen Bereich ihrer Geschäftstätigkeit erfolgreicher werden möchten, oder die sich generell langfristig über begeisternde Dienstleistungen zu mehr Erfolg verhelfen wollen. Diese Firmen sind sich bewusst, dass sie «mit den Leuten etwas machen müssen». Meine Kollegen und ich erforschen, gestalten und begleiten alles, was an der Schnittstelle Kunde/Mitarbeiter passiert.
«Management muss die Idee mittragen»
Können Sie das an einem konkreten Beispiel erklären?
Nach der Übernahme einer bekannten Schuhmarke mit rund 30 Läden und 300 Mitarbeitenden entschied sich der neue Besitzer für eine Neu-Positionierung der Marke. Strategisches Ziel war die Entwicklung der Marke zu einer Luxus Brand. Ein neues CI wurde entwickelt.
Das Corporate Design (Produkt-Sortiment, das Store Design) und die Corporate Communication wurden entsprechend der neuen Zielgruppe neu gestaltet.
Mein Mandat bestand darin, in Zusammenarbeit mit der Verkaufsleitung das Corporate Behaviour – also das Mitarbeiterverhalten mit den Kunden – der neuen Marke zu entwickeln. Für die Mitarbeitenden, welche über Jahre in ihrer Welt erfolgreich gearbeitet haben, waren die Anforderungen der neuen Marke eine Herausforderung. Zum Beispiel sollten sie anstatt Produkte nun Träume verkaufen. Denn, über die Produktekompetenz alleine lässt sich ein Herren-Schuh für 600 Franken nicht erfolgreich verkaufen. Wie ein Schuh für 150 Franken besteht er aus Leder und in der Erwartung des Kunden ist hohe Qualität eine Selbstverständlichkeit. Kaufmotive sind Prestige, etwas Besonderes zu besitzen, aufzufallen, dazu zu gehören, etc.
Die Mitarbeitenden mussten sich von ihrer erlernten und erprobten Art zu verkaufen verabschieden. Sie mussten lernen auf Augenhöhe mit den Kunden zu kommunizieren, bei den Kunden die verborgenen Kaufmotive zu ergründen, Small Talk zu pflegen, die Kunden begeisternd zu inspirieren, Vorurteile und eigene Meinungen hintenan zu stellen.
Das tönt eigentlich einleuchtend, gestaltete sich aber sehr anspruchsvoll.
Durch die Formulierung der klaren Erwartungen an die Mitarbeitenden, konsequente, systematisierte Führung und permanentes internes Coaching in den Stores konnte dieser Kulturwandel schließlich innerhalb von 3 Jahren realisiert werden. Es muss auch gesagt werden, dass nicht alle Mitarbeitenden und Store Managers diesem Wandel gewachsen waren. Etwa ein Drittel der Mitarbeitenden mussten im Laufe von 2 Jahren ausgetauscht werden, weil sie nicht konnten oder wollten.
Wie kamen Sie zum Beruf Business-Coach?
Ich habe in mehreren Betrieben gearbeitet – etwa in einem Grossunternehmen, in der Bank, in einem von einem Patron geführten Betrieb – bevor ich mich während zwei Jahren berufsbegleitend zum Business-Coach ausgebildet habe. Seit 1998 arbeitete ich als selbstständiger Coach. Meine Berufserfahrungen kommen mir sehr zugute, ebenso meine intuitive Art, auf Menschen zuzugehen. In über 50 Projekten mit Kunden konnte ich erfahren, was funktioniert und was nicht – also welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Kultur-Projekt gelingt. Ich bezeichne mich mittlerweile in meiner jetzigen Tätigkeit als Ziel-Erreicher.
Das ist eine nicht gerade alltägliche Bezeichnung. Was soll damit ausgesagt werden?
Im Laufe der Jahre sah ich, dass es trotz meiner vielschichtigen, stark auf Menschenführung bezogene Arbeit immer um das eine geht: die gesetzten Ziele zu erreichen. Erst wenn diese erreicht sind, kann ich meine Aufgabe abgeben.
«Prozesse dauern drei Jahre lang»
Sie kommen also in eine Firma und sollen zu mehr Erfolg verhelfen. Wie geht das?
In einer ersten Phase nach der Auftragserteilung beobachte und analysiere ich. Ich achte auf die Führung, auf Abläufe, auf den Umgang mit den Mitarbeitern und den Kunden. Dabei treffe ich meistens die Situation an, dass alle Prozesse und Abläufe aus der Innensicht und nicht aus der Sicht der Kunden konzipiert sind. Das Management und die Mitarbeitenden sind davon überzeugt, dass sie schon wissen, was die Kunden wollen und daher wissen, was zu tun sei.
Sie wurden ja auch einst dafür ausgebildet …
Ja, klar und auch Weiterbildung findet statt. Fakt ist oft, wenn zum Beispiel ein Geschäftsführer ein Konkurrenz-Geschäft betritt, kann er sich nie wie ein normaler Kunde bewegen: Er hat einen anderen Blick, er registriert sofort, welche Marken verkauft werden, wie die Angestellten auftreten, er rechnet die Marge aus und sieht, was läuft oder nicht läuft. Solche Grundsätze werden allen Beteiligten ins Bewusstsein gerufen. Und dies bedeutet für die meisten Angestellten einen Perspektivenwechsel. Entscheidend ist, was die Kundin, der Kunde sieht und erlebt. Und daran arbeiten wir.
Daher ist Konzeptarbeit unentbehrlich?
Ja, auch. Ein Konzept beschreibt das, was die Kunden wirklich wollen, und wie wir die Mitarbeitenden dazu bringen, das zu tun, was die Kunden begeistert. Dabei gehe ich wie bei einem Marketingkonzept vor: Ich überlege mir, wer die Zielgruppen sind, wie diese ticken und erstelle dann zusammen mit der Geschäftsführung ein Konzept mit Zielvorgaben, Maßnahmen und Ideen und wie diese zu erreichen sind. Wenn man es dann den Mitarbeitenden vorstellt, darf man nicht überrascht sein, wenn das keine Begeisterungsstürme auslöst. Denn sie sind oft «konzeptgeschädigt». Was mich nicht weiter wundert.
Warum nicht?
Weil es Firmen gibt, die ein Konzept nach dem anderen in Angriff nehmen und es leider nicht immer in die Tat umsetzen. Das ist für die Betroffenen belastend, und die Geschäftsleitung macht sich unglaubwürdig. «Auch diese Übung werde ich überleben …» ist eine Aussage, die ich etwa höre.
Was machen Sie anders?
Zuerst überzeuge ich, dass nur eine Sicht zählt: die Kundensicht. Dann geht es darum, das Kundenerlebnis zu gestalten. Letztlich ist Führung alles – alles ist Führung. Die Mitarbeitenden müssen systematisch und begeisternd geführt werden. Das ist eine Frage des Trainings. Die Führungskräfte müssen für diesen Prozess fit sein.
Kann ein Veränderungsprozess letztlich eine Krise auslösen?
Das geschieht auf die eine oder andere Art, denn vor allem wo Mitarbeiter sich von lieb gewonnenen Gewohnheiten verabschieden und diese verändern sollen, löst das immer etwas aus.
Was?
Emotionen. Alle Mitarbeitenden sind Menschen, egal welche Position sie im Betrieb haben. In schwierigen Phasen sind Emotionen stark und bestimmen das Denken und Handeln mehr als üblich. Veränderungen – vor allem fremdbestimmte – lösen Ängste und Irritationen aus. Denn der Mensch ist per se veränderungsresistent. Selbst bei klar positiven Veränderungen gibt es immer Widerstand. Und diese Widerstände sind immer emotional.
Wie reagieren Sie darauf?
Dem trage ich Rechnung. Erst wenn der Veränderungsprozess von den Mitarbeitenden mitgestaltet werden kann und begeisternde Elemente enthält, ist ein Erfolg überhaupt möglich. Und das hat viel mit echter Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden zu tun.
«Ein schöner Event allein genügt nicht»
Manchmal besteht der Eindruck, dass echte Wertschätzung im Berufsleben eher selten ist.
Der Arbeitnehmer erwartet Wertschätzung, der Arbeitgeber Loyalität. Die Mitarbeiter wollen die Wertschätzung nicht nur hören, sondern erfahren. Es gibt sehr schöne Beispiele in der Wirtschaft, dass dies so ist. Und es gibt auch die anderen Beispiele. Ich bin der Überzeugung dass jeder Mitarbeiter für seinen Chef arbeitet und nicht für die Firma. Man sieht und spürt dies oft erst dann, wenn der Vorgesetzte seinen Leuten mal wieder einen herzlichen Dank ausspricht oder ihnen ein Kompliment macht.
Auf der anderen Seite stellen wir aber auch fest, dass viele Mitarbeitende über Ihre Rechte bestens Bescheid wissen, sich der Pflichten aber nicht immer bewusst sind. Hier ist meiner Meinung nach eine starke Führung gefragt.
Emotionen zeigen sich aber auch da, wo Angestellte resistent gegen Veränderung sind.
Nicht nur die Angestellten, auch die Führungskräfte zeigen sich oft resistent gegen Veränderungen. Sie machen vordergründig zwar mit, denn man darf ja die sozialen Regeln nicht verletzen. Hintergründig aber denken sie: «Was will denn der jetzt da?» Es genügt nicht, einen getroffenen Entscheid zu kommunizieren und dann einen schönen Event für alle zu veranstalten.
Die angestrebte Veränderung muss Sinn machen und glaubwürdig vertreten werden. Rational ist sie oft nachzuvollziehen. Aber man darf sich nicht täuschen lassen; emotional wird der Prozess von Ängsten begleitet. Fragen, wie „Was wird mit mir?“, „Will ich das?“, „Kann ich das?“ beschäftigt die Menschen. Das Vertrauen muss aufgebaut werden und da ist es wichtig, möglichst viele Mitarbeitenden in den Chance-Prozess einzubeziehen. Das verlängert den zeitlichen Ablauf vielleicht, aber er sorgt dafür, dass man sie mit ins Boot nehmen kann.
«Leute denken: Was will denn der jetzt da?»
Sie haben es schon angesprochen. Sie sind oft mittendrin, wenn es zu Krisen kommt oder schon dazu gekommen ist. Wie definieren Sie eine Unternehmenskrise?
Etwa eine Redimensionierung, das heisst, der Betrieb verkleinert sich und muss Leute entlassen. Bei einer Entlassung von zehn Personen wird oft vergessen, dass es weitere zehn Mitarbeiter gibt, die sich aus Unsicherheit auch Gedanken über einen Berufs- oder Stellenwechsel machen, obwohl ihr Job sicher ist. Die Gefahr ist da, dass Leute gehen, die man gern behalten möchte. Solch einschneidende Entscheide ziehen unberechenbare Aktionen nach sich. Zu Krisen kommen kann es aber auch bei einer Geschäftsübergabe oder bei einem Generationenwechsel.
Sie sagten, dass Veränderungsprozesse in der Regel drei Jahre dauern. Das ist eigentlich ein langer Prozess.
Drei Jahre sind meistens knapp bemessen. Wirkliche Veränderungen benötigen noch mehr Zeit. Der Prozess ist dann geglückt, wenn die Geschäftsleitung am Ende den Eindruck hat, sie habe dieses Ziel ohne fremde Hilfe erreicht.
Jürg Sutter
Ziel-Erreicher
www.realites.ch